
Anfang Mai war ich zu Gast beim MountainBIKE Women’s Camp in Latsch. Latsch ist quasi schon ein Klassiker unter den Camps, doch für mich war es das erste Mal. Was ich erlebt habe und was ich von den vielen Frauen noch lernen konnte, erzähle ich euch in meinem Bericht.
Disclaimer: In diesem Artikel wird es keine einzige „so wie bei den Frauen/Männern“-Phrase o.ä. geben, ich denke wir sind uns einig, dass wir aus diesem Alter raus sind!
Viele Jahre lebte ich nach der Regel „Wenn du nicht alles fahren oder springen kannst, bist du nicht gut genug. Und wenn du es fahren kannst aber nicht schnell, bist du ebenfalls nicht gut genug.“ Ich würde lügen, wenn ich sage, dass diese Einstellung meiner Leistung nicht förderlich war, doch auf der anderen Seite hat es mich sehr viele Jahre Frustration und Zweifel gekostet, die mir im Endeffekt meine Fortschritte wieder genommen haben.
Das änderte sich unbemerkt schleichend, als ich vor ein paar Jahren auf ein paar Frauen traf, die ebenfalls Mountainbike fahren. Und so kam es dazu, dass bei der ein oder anderen Ausfahrt die Frauen sogar in der Überzahl waren und eine Tour ganz allein unter Frauen ebenfalls keine Seltenheit war. Mittlerweile genieße ich diese Ausfahrten sehr ausgiebig. Nicht weil etwa, wie viele jetzt wahrscheinlich vermuten, das Tempo entspannter ist, sondern weil die Stimmung ausgelassen, lustig und rücksichtsvoll ist. In diesem Umfeld vergesse ich mein eisernes Motto und habe schlicht und einfach „Bock auf Ballern“.
Doch nicht jeder hat die Chance, einen Haufen Frauen um sich rum zu haben, mit denen man sich regelmäßig zum Radfahren verabreden kann. Und da kommen Events wie das Women’s Camp gerade recht. Für mich war es das erste Mal und ich fragte mich, ob es auch mit der 15-fachen Anzahl an Frauen genauso entspannt sein würde wie mit meinen Freundinnen. Um das Spannendste vorweg zu nehmen: Ja, ist es. Warum, lest ihr jetzt.
Die Qual der Wahl
Bei der Ankunft in Latsch und dem angelegten Expo-Gelände für die knapp 90 teilnehmenden Frauen fiel mir schon zum ersten Mal die Kinnlade herunter. Bikes und Material zum Ausprobieren gab es für die Teilnehmerinnen zur Genüge. Testbikes wurden von Liv und Cube zur Verfügung gestellt, Klamotten gab es von ION, Rucksäcke konnte man bei Deuter testen, Schuhe gab es von Five Ten und bei Anita konnte man seinen perfekten Sport-BH finden. Bosch und Cube boten E-Bike Touren an, mit den Lampen von JuVelo Germany konnte man sogar auf Nightride-Tour gehen. Doch damit war noch lang nicht genug. Das Rahmenprogamm erstreckte sich von Massagen über Pilates bis hin zu Workshops und Vorträgen.

So motiviert wie ich war, hatte ich vor, alles einmal mitzuerleben, doch schon am ersten Tag merkte ich sehr schnell, dass ich meinen eifrigen Plan beiseite legen musste. So viele Angebote konnte man einfach nicht gleichzeitig nutzen, doch irgendwann bemerkte ich, dass das hier gar nicht das Ziel ist. Stattdessen konnte jeder sich sein eigenes persönliches Programm zusammenstellen, wie es einem gefällt. Ein Ziel behielt ich jedoch im Auge: Ich wollte mit jeder Gruppe einmal zusammen auf dem Bike sitzen, was mir auch beinahe gelang.
Das Women’s Camp teilt sich zu Beginn in 5 Gruppen auf, von Anfängerinnen bis hin zu den erfahrenen “Cracks”. Jede Gruppe wird mit Guides versorgt und ihren Levels entsprechend betreut. Wer blutiger Anfänger ist und noch nie auf einem Mountainbike gesessen hat, bekommt ebenfalls eine ausführliche Fahrtechnik-Einweisung, bis man sich sicher genug fühlt, um sich einer Gruppe anschließen. Es waren lokale Guides aus Latsch mit dabei, aber auch Persönlichkeiten wie Antje Kramer, Steffie Teltscher, Lisa Breckner und Tanja Hendrysiak, die die Gruppen mit betreuten.
Verständnis ist das Stichwort
Leider habe ich die Gruppe 4 aufgrund von Zeitmangel auslassen müssen, doch die Gewinnerin unserer MTB-News-Verlosung, Theresa, war dort untergebracht und konnte mir dementsprechend von ihren Erlebnissen berichten. Auch sie hat mir dieselben Eindrücke bestätigt, die ich auch in allen anderen Gruppen sammeln konnte: Die Motivation, Unterstützung und der Zusammenhalt ist grenzenlos.
“Ich bin total begeistert. Ich war erstmal gespannt, wie das sein wird mit lauter Frauen zu fahren, ob da sowas wie Stutenbissigkeit dabei sein wird oder nicht. Aber das gab es überhaupt nicht, es war einfach nur ein motivierendes, positives Gepushe und das war echt super. Ich bin total glücklich, dass ich hier war und wir haben eine richtig schöne, kleine Gruppe gehabt und alle sind super gefahren. Dadurch, dass wir alle so gut zusammen gepasst haben, haben wir eine wahnsinnige Dynamik in das Ganze gebracht und wir alle sind mindestens ein Level aufgestiegen.” Theresa
Was mir zu Beginn auffiel, war der große Ärger über Fehler oder Scheitern, sowie Scham oder Wut aufgrund von „schwacher Leistung“. Schwache Leistung sah ich nirgendwo und ich gab mein Bestes zu unterstützen und zu motivieren, wo ich konnte. Damit war ich zum Glück nicht allein und es war schön zu beobachten, wie sich der Unmut immer mehr auflöste, je enger die Gruppen zusammen wuchsen. Stattdessen wurden knifflige Stellen so lange geübt bis sie passten, Fahrtechnik immer weiter verfeinert bis sie saß und ausprobiert, was das Zeug hielt.
Bordsteinkanten springen, Bunnyhops üben, auf dem Rad still stehen, Hauptsache mit dem Bike spielen lautete die Devise. Zurückhaltung und Zweifel waren verschwunden. Diese Experimentierfreude konnte sich im Umfeld des Women’s Camps komplett entfalten und sorgte dafür, dass alle Teilnehmerinnen über sich selbst hinaus wachsen konnten. Die Women’s Camps sind also vielleicht keine richtige Spielwiese, sondern eher ein Nährboden, der Selbstvertrauen und Mut gedeihen lässt. Und für die, die beides schon besaßen, gab es immer noch genügend Spielraum sich auf den anspruchsvollen Trails in Latsch auszutoben. Den Tag dann mit einer Massage, einem Workshop oder einer Runde Pilates ausklingen zu lassen, setzte dem Ganzen dann die Krone auf.


Latsch ist mega geil, ich bin jedes Mal total happy, wenn ich hier sein kann. Das Camp hier ist immer gut, immer lustig, ich glaub’ wir hatten auch die geilste Gruppe. Das sind alles Wiederholungstäter, die mittlerweile zum zweiten oder dritten Mal dabei waren und die Stimmung ist perfekt, die motivieren sich alle gegenseitig. Ich hab’ grad noch eine sagen hören “ach, das war so schön heute”, das hat glaub ich was mit diesem Gruppen-Ding zu tun. Alle haben ein ähnliches Fahrtechnik-Level, wir sind total schöne Trails gerockt und wir haben diesmal mehr auf Fahrrad fahren als auf Fahrtechnik gesetzt. Es war perfekt, das schlechte Wetter zwischendurch hat auch überhaupt keiner gemerkt und wir sind trotzdem die Trails runtergeheizt. Ich kann nichts anderes sagen als “herrlich”. Ich fahr wieder nach Hause mit einem dicken Grinsen im Gesicht!
Am Ende jeden Tages saßen dann wieder alle zusammen und feierten gemeinsam ihre, über den Tag gesammelten, Erfolge. Ich beispielsweise habe an diesem Wochenende gelernt, Spitzkehren richtig zu fahren und an meiner Blickführung zu arbeiten – darüber habe ich mit meinen Mitstreiterinnen ordentlich gejubelt. Und genauso habe ich bejubelt, wenn alle anderen über sich hinaus wuchsen. Diese Unterstützung ist unfassbar wohltuend und ich zehre jetzt noch davon.
Mehr davon!
Letztes Jahr kam ich mit meinen Freundinnen zu dem Schluss: „jeder Fortschritt zählt“ – dieses Jahr auf dem Women’s Camp lautet meine Zusammenfassung genauso, nur mit der Erkenntnis, dass dieser Zusammenhalt scheinbar überall herrscht.
Frauen auf dem Bike sind nichts Besonderes mehr. Wir sind zwar (leider) immer noch in der Unterzahl, doch es sollte trotzdem akzeptiert werden, dass Frauen eine neue Bandbreite an Bedürfnissen mit in den Topf schmeißen, die berücksichtigt werden sollen. Das Rad muss für Frauen nicht neu erfunden werden, damit können wir schon ganz gut selbst umgehen. Dinge wie passende Sport-BHs, Klamotten oder Rucksäcke, abstimmbare Fahrwerke und passende Bikes sind zwar wichtig, aber meiner Meinung nach ist es am wichtigsten, dass Verständnis und Respekt für mountainbikende Frauen herrscht. Beim Women’s Camp bekommt man all das – und es tut gut, zwischendurch in eine Welt abzutauchen, in der alle Bedürfnisse Beachtung finden. Um die Frage im Titel also zu beantworten: Ja, Frauen brauchen (ab und zu) ihre eigene Spielwiese! Wir müssen nicht in Watte gepackt werden und auch nicht besonders viel Aufmerksamkeit bekommen, aber zwischendurch unter sich zu sein ist eine willkommene Abwechslung.
Es sollte immer Luft für Blumen im Haar, Gejubel auf dem Trail und Gekicher und Gelächter nach einer grandiosen Tour geben. Wie schon gesagt, jeder Fortschritt zählt, egal wie dieser aussieht und es ändert nichts an Fahrkönnen, Mut oder Qualität, wenn man sich zwischendurch in die Arme fällt oder sich gegenseitig mit Komplimenten überhäuft. Denn von so viel Motivation und Unterstützung kann sich jeder gern eine Scheibe abschneiden und bei der nächsten Ausfahrt dann weiter verteilen. Vielen Dank für dieses grandiose Wochenende, meine lieben Damen. Es war mir eine Ehre!
Dieses Jahr gibt es noch eine Chance, bei einem MountainBIKE Women’s Camp dabei zu sein! Der zweite Termin wird vom 29.06 – 02.07.2017 in der Region Serfaus-Fiss-Ladis. Es sind noch ein paar Plätze frei und dort gibt es neben fabelhaften Trails noch den Bikepark zu entdecken, was den Teilnehmerinnen noch mehr Möglichkeiten eröffnet.
Mehr Informationen: www.womenscamps.de
Text & Redaktion: Jana Zoricic
Fotos: Kilian Kreb Fotografie, Jana Zoricic